Ursula Goetze

Ein Redebeitrag von:
Erika Rathmann – VVN BdA Lichtenberg

In der DDR wurde die Rote Kapelle durchaus beachtet, allerdings wurde in der Geschichtswissenschaft der Name, da er ja eine Gestapoerfindung war, abgelehnt und stattdessen von der Schulze-Boysen-Harnack Organisation gesprochen. Dass da Übertreibungen waren, dass es nicht so eine feste Kadergruppe war, wie man damals dachte, das wissen wir nun schon seit langem. Heute ist klar, dass es eine breitgefächerte Organisation verschiedenster Antifaschisten war. Hans Coppi, dessen Eltern Teil dieser Bewegung waren, hat dazu eine ganze Menge an Forschung geleistet. Da gibts auch interessante Veröffentlichungen zu.

Ich möchte ein paar Worte zu Ursula Goetze sagen. Sie gehörte zu den vielen jungen Frauen, die in dieser Organisation, in dieser Struktur tätig waren. Sie lebte von 1916 bis 1943, also ein relativ kurzes Leben. Ich möchte darauf hinweisen, dass ich zu ihr, zu ihrer Familie, eine besondere Beziehung habe. Sie war eine gute Freundin meiner Eltern und der Schwester meiner Mutter. Ich bin 1936 geboren, als Ursula verhaftet wurde, da war ich so 6 Jahre alt. Ich habe sie selbst als Kind noch kennengelernt und kann mich noch schwach an sie erinnern als eine freundliche, dunkelhaarige junge Frau, die mit mir gespielt hat, sich mit mir abgegeben hat. Ich kannte natürlich auch ihre Eltern, vorallem ihre Mutter die sehr alt geworden ist, eine ganz bezaubernde alte Dame, die aber bis an ihr Lebensende den Tod ihrer Tochter nicht verwunden hat. Ich kannte auch den Bruder von Ursula, Professor Eberhardt Goetze, der zum Glück überlebt hat, obwohl er auch im Widerstand war. Er war ein bekannter Mediziner und Professor in der DDR. Das werdet ihr nicht kennen, aber als ich in die SED, wie damals üblich mit 17 Jahren, war er mein Bürge. Man brauchte damals einen oder zwei Bürgen, wenn man in die Partei aufgenommen werden wollte. Die nahmen auch nicht jeden, was aber nicht immer verhindert hat, dass auch Karrieristen eingetreten sind, aber das ist ein anderes Problem.

Ursula stammte aus einem, wie man so sagte, gutbürgerlichen Haus. Ihr Vater war zuerst Unternehmer, besaß später ein Hotel. Sie waren sehr aufgeschlossene Menschen und haben versucht ihrer Tochter ein möglichst vielseitiges Wissen zu vermitteln. Ursula war schon als junges Mädchen politisch sehr interessiert und aktiv. Als der Faschismus an die Macht kam oder kurz davor war an die Macht zu kommen, war sie bereits sehr antifaschistisch engagiert. Da kommt auch eine Person aus meiner Familie besonders ins Spiel, die Schwester meiner Mutter. Getrud Rosemayer war damals eine aktive Funktionärin der KPD und hat sich viel mit den Jungkommunisten, also den Mitgliedern des kommunistischen Jugendverbands beschäftigt. Zu denen gehörten auch Ursula Goetze und ihr Bruder Eberhardt. Sie hat sich viel mit ihnen unterhalten, sie bei Schulungen besucht, mit ihnen gewandert. Die jungen und älteren Kommunisten sind damals viel gewandert, die hatten in der Regel keine Autos.

Von Anfang an hat Ursula Goetze sich bemüht, diesem Faschismus Widerstand entgegenzusetzen. Sie brauchte lange um eine Ausbildung zu finden, die ihr irgendwie gemäß wurde und die sie interessiert hat. Sie hat die verschiedensten Arbeiten in Druckereien und anderen Einrichtungen verrichtet. Jede Möglichkeit ins Ausland zu kommen hat sie genutzt. Eine Zeit lang hat sie sich in Großbritannien aufgehalten, ein weiteres mal ist sie nach Italien gereist. Sie war ein international interessierter Mensch, sprachlich interessiert und interessiert an anderen Menschen, an anderen Völkern.
Natürlich wurde es besonders schwer als der Faschismus seine ganze Macht errichtet hatte und viele Genossen schon verhaftet waren. Viele andere hatten sich abgewendet und waren nicht mehr bereit Gefahren und Risiken auf sich zu nehmen. Ursula gehörte nicht zu denen. Sie war von Anfang an mit einer Gruppe junger Kommunisten bereit, wirklich aktiv Widerstand zu leisten. So hat sie zum Beispiel dazu beigetragen, dass Verfolgte und Angehörige von Verfolgten mit Lebensmitteln versorgt wurden. Später als dann der Krieg begann hat sie versucht mit ausländischen Zwangsarbeitern in Verbindung zu kommen. Im Umkreis der roten Kapelle wurde sich generell stets bemüht dorthin Verbindungen aufzunehmen. Außerdem haben sie natürlich Flugblätter verteilt, im Schutze der Dunkelheit haben sie Klebezettel angebracht, zum Beispiel auch als diese berühmt-berüchtigte Ausstellung „das Sowjetparadies“ im Lustgarten eröffnet wurde. Da haben sie sich entschlossen eine Klebeaktion durchzuführen und Klebezettel im weiten Umkreis anzubringen die daraufhinwiesen, dass das eine Lüge war und dass sie diese Darstellung ablehnten. Sie hatte aber nichts mit der Gruppe um Herbert Baum zutun, dessen Name wird euch vielleicht auch bekannt sein. Die jüdische Widerstandsgruppe versuchte die Ausstellung in Brand zu setzen, was nur zum kleinen Teil gelang. Die meisten Mitstreiter dieser Gruppe wurden später gefasst und hingerichtet. Aber das war eine andere Aktion.

Was diese Jungkommunisten gemacht haben mit ihrer Klebeaktion war im Grunde auch eine Kamikaze Sache und meine Bekannte Gertrud Rosemayer hat ihnen davon abgeraten. Sie sagte: „bringt euch nicht unnötig in Gefahr, ihr wisst wie die Sache ausgehen wird, wenn was passiert“. Aber sie waren jung und ließen sich nicht abhalten. Sie haben auch Flugblätter geschrieben, Druckschriften, haben mehrere hundert weggeschickt an Menschen verschiedenster Art. 236 dieser Schriften wurden sofort von denen, die sie empfangen hatten, an die Gestapo abgeliefert. So war diese Atmosphäre damals in diesem Land.

Durch eine Dechiffrierung eines Telegramms wurde die Adresse von Harro-Schulze-Boysen entdeckt. Er wurde verhaftet und ein ganzer Teil seiner Anhänger mit ihm. Nun gehörte Ursula Goetze mit ihrer Gruppe nicht direkt zur Roten Kapelle. Im weiten Umfeld schon, aber es war keine keine feste Organisation, es waren verschiedenste Interessenten und Gruppen und Gruppierungen und Personen die erst später unter dem Namen zusammengefasst worden sind. Aber auch Ursula Goetze geriet, auch durch den Verrat eines mit ihr befreundeten jungen Mannes, in Gestapohaft. Sie war damals eng befreundet und liiert mit Werner Krauss, der Name ist euch vielleicht nicht bekannt. Er war auch ein Mitglied der Roten Kapelle und der KPD, ein Romanist, ein ganz bekannter Wissenschaftler. Später wurde auch er zum Tode verurteilt aber durch einen sehr glücklichen Umstand hat er überlebt.

Natürlich wurden diese jungen Leute dann vor Gericht gestellt, obwohl der Vorwurf, denen man ihnen machen konnte in vielen Fällen kein großes Verbrechen war, nichtmal vor dem faschistischen Gericht. Sie wurden trotzdem zum Tode verurteilt, das Stand von Anfang an fest. Dieser Prozess fand vor dem Reichskriegsgericht statt und der Staatsanwalt, der sich dort austobte hieß Manfred Roeder, der spielte auch nach 1945 eine ganz üble Rolle, ich werde dazu dann noch etwas sagen. Es gab Versuche der Eltern von Ursula einen Gnadenerlass zu bekommen, sie selbst hat das auch unterschrieben aber es war von vorhinein klar, dass daran kein Interesse bestand. Das, was sie gemacht haben, wurde als Landesverrat dargestellt und darum wurden am 05.08.1943 16 Menschen hingerichtet, davon 13 Frauen. Ich möchte euch die Namen kennen, da kennt man einige davon:

  • Stanislaw Wesolek
  • Emil Hübner, mit 81 Jahren wohl der Älteste, der mit dem Fallbeil hingerichtet wurde,
  • Dr. Adam Kuckhoff,
  • Frida Wesolek, die Frau von Stanislaw Wesolek,
  • Ursula Goetze,
  • Maria Terwiel,
  • Oda Schottmüller, eine bekannte Tänzerin,
  • Rose Schlösinger,
  • Hilde Coppi,
  • Klara Schabbel,
  • Else Imme,
    Eva-Maria Buch,
  • Annie Krauss,
    Ingeborg Kummerow,
  • Cato Bontjes van Beek, auch über sie wurde viel geschrieben,
  • Liane Berkowitz.

Sie alle wurden am 05. August 1943 durch das Fallbeil in Berlin Plötzensee hingerichtet. Im Abstand weniger Sekunden wurde einer nach dem anderen dort geköpft. Ihre Leichen wurden nicht freigegeben zur Beerdigung durch die Familien. Sie wurden verbrannt und die Asche irgendwo verstreut. Manche der Frauen wurden auch dem anatomischen Institut übergeben, damit an ihnen Untersuchungen stattfinden konnten.

Alle haben gesagt, dass Ursula Goetze ein mutiger und tapferer Mensch war. Trotz der schrecklichen Situation in der sie sich befand, hat sie versucht anderen Mut zu geben, aufrecht zu bleiben und ihr Schicksal mit Fassung zu ertragen. Mit einer Fassung die andere, wie Greta Kuckhoff, die überlebt hat, mit Bewunderung erfüllt hat.

Nach dem Ende des Krieges haben einige der Angehörigen versucht diesen Staatsanwalt Manfred Roeder vor ein Gericht zu kriegen, aber das wurde in der späteren Bundesrepublik abgelehnt. Es wurde erklärt, diese Leute seien zurecht hingerichtet bzw. verurteilt worden. Sie hätten Landesverrat begangen und den Ausgang begünstigt. Ihnen wurde vorgeworfen, sie hätten Funkverbindung mit der Sowjetunion gehabt, was so überhaupt nicht stimmte, und hätten dem Land so großen Schaden zufügt. Das andere war, dass dieser Manfred Roeder noch die Frechheit besaß, um 1950/51 eine Verleumndungskampagne gegen alle Mitglieder der roten Kapelle zu starten. Die ging damals durch die Presse der Bundesrepublik, also auch durch die großen Presseerzeugnisse die es damals gab. Dort wurde behauptet, diese Leute hätten Schuld gehabt an dem Tod vieler deutscher Soldaten, sie hätten am Unglück des deutschen Volkes Mitschuld gehabt, sie hätten Landesverrat begangen, sie seien im Grunde zurecht hingerichtet worden. Außerdem wurden sie als moralisch verkommen dargestellt. Das war der zweite Schlag dieses Manfred Roeder, dieses höheren Staatsanwalts des Reichskriegsgericht gegen die Menschen, die er hinrichten lies.

Ursula Goetze wurde bei uns nicht vergessen. Es gibt eine Straße in Karlshorst die an sie erinnert. Es gab auch verschiedene Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten und Bibliotheken die an sie erinnerten, aber das alles wurde nach 1990/91 beseitigt. Die Straße blieb erhalten und wir sind jedes Jahr dort und bringen einen Hinweis an die Straßenschilder an, nach wem diese Straße benannt worden ist. Wir pflegen auch in die Briefkästen der Leute die dort in den feinen Häusern wohnen Flyer zu werfen, damit sie sich mal damit beschäftigen nach wem ihre Straße benannt wurde. Damit sie nicht so ahnungslos sind, wer das eigentlich war. Für mich bedeutet das eine Erinnerung aus meiner Kindheit, aus meiner Familie. Eine enge Verbindung, die ich bis zum Tode ihres Bruders,der vor einigen Jahren gestorben ist, auch hatte. Ich kenne auch den Sohn ihres Bruders, den hab ich schon als Kind kennengelernt und vor einiger Zeit wieder getroffen. Sie ist nicht vergessen. Natürlich ist sie ein Name unter anderen, aber ich denke dort in diesem Wohngebiet, sollte man ihren Namen nicht vergessen.