Hilde Coppi

Vor einigen Jahren fand ich im Bundesarchiv auf einer kleinen Karteikarte einen Eintrag vom Gefängnispfarrer des Berliner Frauengefängnisses: “Hilde Coppi, Hochverrat und Landesverrat, Schulze-Boysen-Kreis, zart, fein, tapfer, ganz selbstlos. Gebar am 27.11.42 ihr Kind. Hinrichtung ihres Mannes durfte ihr nicht mitgeteilt werden, ließ darum ihren Schmerz nicht laut werden. Kind wurde von ihrer Mutter erst in der Woche der Hinrichtung geholt. Stolz, beherrscht und lieb. Kein Hass. Eine rührende Persönlichkeit. Rechnete nie mit ‘Gnade’ der Menschen. Nie bereut.”
Meine Mutter Hilde Rake wurde am 30. Mai 1909 in Berlin geboren. Sie besuchte das Lyzeum bis zur Obersekunda. Als ihre Mutter ihren kleinen Lederwarenladen aufgeben musste, verließ Hilde die Höhere Handelsschule und arbeitete seit 1927 als Sprechstundenhilfe und Sekretärin, führte die Buchhaltung, assistierte bei Röntgenaufnahmen und sogar bei operativen Eingriffen. Sie lebte mit ihrer Mutter zusammen, die alleinstehend und ohne eigene Einkünfte war. Zu ihren Freunden zählten auch junge Kommunist*innen, mit denen sie diskutierte und denen sie half, als diese nach 1933 verfolgt und verhaftet wurden. Mitte September 1939 fand Hilde eine Anstellung bei der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (BfA).
Anfang 1940 lernte sie Hans Coppi kennen. Bald gehörte sie zu dessen Freundes- und Widerstandskreis. Mitte Juni 1941, wenige Tage vor ihrer Hochzeit, fragte Harro Schulze-Boysen, ein Nazigegner aus dem Luftwaffenministerium, meinen Vater, ob er sich vorstellen könne, eine Funkverbindung in die Sowjetunion aufzubauen – denn in wenigen Tagen werde der Krieg im Osten beginnen. Mein Vater war bereit, diese nicht nur für ihn gefährliche Aufgabe zu übernehmen. Meine Mutter besorgte aus der Versicherungsanstalt Papier für Flugblätter, brachte im Wedding zusammen mit meinem Vater Klebezettel gegen die antisowjetische Propagandaausstellung im Lustgarten an, notierte sich aus dem Moskauer Rundfunk Adressen von Angehörigen deutscher Kriegsgefangener und ließ sie wissen, dass ihre Väter oder Söhne lebten. Manchmal half sie, das nicht funktionierende Funkgerät bei Freunden unterzustellen.
Am Morgen des 12. September 1942 wurde sie verhaftet. Mitte Januar 1943 vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt und am 5. August 1943 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Im Berliner Frauengefängnis an der Barnimstraße verbrachte ich die ersten acht Monate meines Lebens. Geblieben ist ein Gefühl von Geborgenheit, manchmal erscheint es mir, als ob es die beste und behütetste Zeit meines Lebens gewesen sei.

Hans Coppi, Berlin

In einem Brief, den sie am Tag ihrer Hinrichtung an ihre Familie schrieb, nahm Hilde Coppi Abschied:

„… Eben erhalte ich Eure lieben Briefe, Muttis und Deinen, Mama; wie freue ich mich, wieviel Freude Ihr schon jetzt an unserem Sohn habt. Nun nehme ich Euch beide an die Hand, wenn ich die letzten Schritte tue, dann wird es mir leichter. Für all Eure Liebe und Sorge um uns danken wir Euch. Wieviel schöner wäre es gewesen, wenn wir den Kummer Euch hätten ersparen können. Aber es sollte nicht sein…“