Ilse Stöbe

Ab 1932 wohnte in der Frankfurter Allee 233 – damals noch Nummer 202 – die antifaschistische Widerstandskämpferin Ilse Frieda Gertrud Stöbe.

Die 1911 in der – damals noch zu Lichtenberg gehörenden – Mainzer Straße 1 geborene Tochter der Näherin Frieda Schumann und des Tischlers Max Stöbe wurde seit jeher durch ihr kommunistisches und antifaschistisches Umfeld geprägt. So war Lichtenberg – zu dem damals auch die heute in Friedrichshain gelegene Jungstraße gehörte, in welcher die Familie Stöbe 1 Jahr nach Ilses Geburt eine Wohnung in der Hausnummer 14 bezog – seinerzeit noch eine selbstständige Gemeinde und als „rote Hochburg“ bekannt. Hier wohnten in beengten Quartieren überwiegend Arbeiter*Innen und Angestellte. Gewählt wurde sozialdemokratisch, gegen Ende der Weimarer Republik zunehmend kommunistisch. Es waren die erlebten Hunger- und Nachkriegsjahre, die politischen Kämpfe der 1920er Jahre, der Trauerzug um den ermordeten Karl Liebknecht, welcher 1919 auf der Frankfurter Allee zum Friedhof Friedrichsfelde zog und nicht zuletzt das politische Engagement ihres Stiefbruders Kurt Müller, die Ilse Stöbe zu jener unerschrockenen Widerstandskämpferin machten, als welche wir sie heute ehren. Mit den Kämpfen Müllers gegen die Faschisten, die er als Widerstandskämpfer der Gruppe Europäische Union und ab 1930 als KPD-Mitglied führte, sympathisierten sowohl Amelie Stöbe, als auch ihre Tochter und Müllers Stiefschwester Ilse.

Ihre Empathie gegenüber den sozialen Nöten der Menschen erwarb Ilse Stöbe am Cecilien-Lyzeum Lichtenberg, wo sie auch den späteren Journalisten und antifaschistischen Widerstandskämpfer Helmut Kindler kennen lernte. Aus finanzieller Not verließ Stöbe das Lyzeum 1927 und wechselte an eine Handelsschule, wo sie das Handwerkszeug für ihren späteren Beruf im Verlagshaus Rudolf Mosse, dem Verlag des „Berliner Tagesblattes“ erlernte. Trotz politischer Meinungsverschiedenheiten zum dortigen Chefredakteur Theodor Wolff – ein im In- und Ausland angesehener Kolumnist und „unermüdlicher Streiter für die Weimarer Republik“ pflegten die beiden ein gutes Verhältnis. Ilse Stöbe scheint bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben; so wird die Protagonistin aus Wolffs Roman „die Schwimmerin“ als Hommage an sie gelesen.

Politisch sah sich Stöbe aber dem Kommunisten Rudolf Herrnstedt näher, der seit 1927 brisante Artikel über Außenpolitik, die soziale Frage und die Lage der Arbeiter*Innen schrieb. Es war Herrnstedt, dem sich die aktivistischen Arbeiter*Innen des Verlags anvertrauten und dem sie Informationen über die kommunistische Bewegung zuspielten. Und es war Herrnstedt, der in seinerEntwicklung zum radikal linken Intellektuellen nach einem Besuch in der Sowjetunion bestrebt war, kommunistisch aktiv zu werden, 1931 in die KPD eintrat und der zunächst Ilse Stöbes Interesse seckte und später ihr Herz gewann. Herrnstedt, der zwar aus taktischen Gründen der Redaktion des Berliner Tagesblatts zugehörig blieb – bald als Auslandskorrespondent in Warschau, später in Moskau – arbeitete dem sowjetischen Geheimdienst GRU aus Überzeugung zu. Wohl eher ebenfalls aus politischer Überzeugung, denn aus amourösen Gründen spielte Ilse Stöbe bald eine Schlüsselrolle bezüglich des Informationsaustauschs. In die Grundlagen der nachrichtendienstlichen Tätigkeiten eingeweiht, arbeitete Stöbe unter dem Decknamen Arnim der Sowjetunion zu, indem sie einmal wöchentlich vertrauliche Unterlagen aus der Redaktion und aus Gesprächen mit Wolff an einen Mittelsmann des sowjetischen Geheimdienstes übergab. Ilse Stöbe war nun eine Spionin der Sowjetunion. Nach Einschätzung des Historikers Hans Coppi tat sie dies zunächst wahrscheinlich aus Überzeugung, ab 1933 jedoch aus Pflicht zum Kampf gegen den Faschismus.
Ihren Beitrag zum Widerstand gegen den Faschismus bezahlte sie mit dem Leben: Sie wurde am 22. Dezember 1942 gemeinsam mit Mitgliedern der Roten Kapelle in Plötzensee hingerichtet.